- Portugal im Zeitalter der Entdeckungen: Der Weg ins Dunkle
- Portugal im Zeitalter der Entdeckungen: Der Weg ins DunkleWarum Portugal?Von entscheidender Bedeutung für den Vorsprung Portugals im neuzeitlichen europäischen Expansionismus war die staatliche Entwicklung dieses kleinen Landes an der Atlantikküste der Iberischen Halbinsel. Portugal verfügte bereits vor den Entdeckungen über ein ethnisch homogenes und eigenstaatliches Territorium. Im Kastilischen Erbfolgekrieg hatte sich das Haus Avis 1385 durchgesetzt, und seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts konnte Portugal als sprachlich geeint gelten. Überdies hatte bereits 1249 die muslimische Herrschaft auf portugiesischem Boden ihr Ende gefunden. Die Reconquista, die Rückeroberung des eigenen Landes, war also nahezu 250 Jahre früher als in Spanien abgeschlossen.Das Ende der Reconquista und der Abschluss der Auseinandersetzungen mit Kastilien hatten allerdings eine Schicht von »Rittern« hinterlassen, die auf ein neues militärisches Betätigungsfeld brannten, zumal die Inflation des 15. Jahrhunderts auf der gesamten Iberischen Halbinsel ihre festen Geldeinkünfte reduzierte. Sie verfielen daher — wie im spätmittelalterlichen Europa allgemein üblich — auf Raub und Plünderung, um ihren Lebensstandard zu wahren. Hinsichtlich des neuen überseeischen Expansionismus mussten sie sich allerdings umorientieren; denn Portugals Zukunft lag nicht auf dem Rücken der Pferde, sondern auf den Planken seiner Schiffe.Wichtiger für den portugiesischen Expansionismus im Sinne eines vorwärts drängenden Moments war daher auch das neue städtische Bürgertum, das im Bündnis mit der aufsteigenden absolutistischen Monarchie gegen den Adel seine Position gefestigt hatte. Ohnehin zeichnete sich die portugiesische Monarchie durch ein hohes wirtschaftliches und handelspolitisches Engagement aus. Mit Recht hat man hinsichtlich der iberischen Monarchen von den »gekrönten Kapitalisten« gesprochen, die später ihre Profite aus der überseeischen Expansion durch Gewinnbeteiligung (Fünften) oder Monopole (Gold, Sklaven, Gewürze, Elfenbein) zu sichern suchten. Darüber hinaus standen Portugal das Know-how und das Geld vornehmlich der Genuesen zur Verfügung. Die verhältnismäßig stark geldwirtschaftlich organisierte Wirtschaft und die ebenso starke Verstädterung der Bevölkerung liefern weitere Erklärungen für den Vorsprung Portugals im europäischen Expansionismus.Hinzu kamen erste Engpässe in der Versorgung der Städte mit Getreide und Zucker sowie mit Fisch und Fleisch als wichtigen Eiweißquellen. Die Erschließung neuer Fischfanggebiete, wie sie an der afrikanischen Nordwestküste vor der Tür lagen, war daher unzweifelhaft ein weiteres Motiv der frühportugiesischen Expansion. Das Fleisch bedurfte wiederum der Konservierung durch die Gewürze des Orients. Holz war ein weiterer Rohstoff, der angesichts der Entwaldung Südeuropas knapp wurde.Die begehrtesten Produkte der Zeit waren jedoch die Edelmetalle Gold und Silber. Im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts und zu Beginn des 15. Jahrhunderts erlebte Portugal eine Goldknappheit wie nie zuvor. Zwischen 1383 und 1435 wurde keine einzige Goldmünze geprägt. Ebenso kam es zu einer Verknappung des Silbers. Der Grund für diesen Mangel an Edelmetallen lag zum einen in den Bedürfnissen der Krone, etwa den Rüstungskäufen im Zuge der Thronwirren, vor allem jedoch in den vorgenannten Versorgungsengpässen, die wiederum zu einem Abfluss von Gold und Silber und zu einer nationalen Geldkrise geführt hatten. Von daher war es nur natürlich, dass das Handel treibende Bürgertum im kolonialen Expansionismus einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise sah.In dieser Beziehung wies auch das Gold aus dem westlichen Sudan auf den afrikanischen Kontinent. Da der Islam der Gegner war, konnten die Wirtschaftsinteressenten zudem der Unterstützung von kirchlicher Seite sicher sein. Eine weitere Grundlage für den portugiesischen Expansionismus dürfte in den Fortschritten der nautischen Technik und in der zielstrebigen finanziell-organisatorischen Planung der überseeischen Unternehmungen zu finden sein, für die der Name »Heinrich der Seefahrer« steht, der wohl nicht zu Unrecht als »Vater des Entdeckungszeitalters« gilt.Rund um AfrikaDie Eroberung Ceutas an der Nordspitze Afrikas durch die Portugiesen im Jahre 1415 bedeutete das erste Ausgreifen auf einen Kontinent außerhalb Europas und eine Stützpunktbildung in einem fremden Kulturkreis. Unzweifelhaft hatte die wohlhabende Stadt Ceuta als Endpunkt transsaharischer Handelswege den Ausschlag dafür gegeben. Weitere Versuche zur Eroberung Marokkos scheiterten indes. Die Portugiesen wählten daher den Seeweg entlang der Küste, wobei nicht zuletzt psychologische Barrieren zu überwinden waren. Der südlich des Kap Bojador gelegene Bereich galt nach damaligen Vorstellungen als eine Zone des Schreckens. Von unvorstellbarer Hitze, einem »Magnetberg«, der die Schiffe anziehe, dem Absturz ins Nichts, Monstern und Seeungeheuern, Windstille ohne die Chance zur Rückkehr und anderen Schrecknissen war die Rede. Sandstürme von der Sahara her, Nebel, wandernde Sandbänke und gefährliche Küsten- und Gegenströmungen — die später zur »Volta«, der weiten Verlegung der Seerouten nach Westen führten — mochten der reale Hintergrund dieser Mythen und Ängste gewesen sein. Im Jahre 1434 gelang schließlich Gil Eanes im zweiten Anlauf die Überwindung des Kap Bojador. Danach drangen die Portugiesen ziemlich kontinuierlich entlang der afrikanischen Küste vor.1436 erreichte Afonso de Baldaia den Rio de Oro (Goldfluss), 1441 Nuno Tristão das Kap Blanco, von wo er die ersten Sklaven nach Lissabon mitbrachte. Nach 1442 öffnete sich den Portugiesen der Zugang zu den afrikanischen Goldmärkten, die bis zur Entdeckung Amerikas Hauptversorger Europas mit diesem begehrten Edelmetall blieben. Bis 1460, dem Todesjahr Heinrichs des Seefahrers, waren die Portugiesen über das Kap Verde, die Senegal- und Gambiamündung und die östlichen Kapverdischen Inseln bis etwa auf die Höhe des heutigen Sierra Leone vorgedrungen, immer auf der Suche nach Gold und Sklaven, aber auch immer mit dem Auftrag, das Reich des »Priesterkönigs Johannes« ausfindig zu machen.Nach dem Tod Heinrichs setzte sich das Kap- und Inselspringen im Bereich der Pfeffer-, Elfenbein-, Gold- und Sklavenküste fort, also vom heutigen Liberia bis zu den Regionen am Golf von Guinea mit seinen vorgelagerten Inseln (Fernando Póo, São Tomé), wobei die Namen der Küsten für die Produkte stehen, die man suchte bzw. fand. Inzwischen hatte man ganze Küstenabschnitte an einen Lissabonner Unternehmer verpachtet, mit dem Auftrag, jährlich 100 Leguas (etwa 550 km) der afrikanischen Küste zu entdecken. Mit der Anlage des Forts »São Jorge da Mina« (El Mina) im heutigen Ghana 1482 besaßen die Portugiesen nicht nur ihr Depot für das Gold aus dem westlichen Sudan und Nigerbogen, sondern auch ihre zentrale Zwischenstation auf dem weiteren Weg um Afrika.Die Entdeckung der Kongomündung und die Erforschung der Küste bis zur Walfischbucht ist mit dem Namen Diogo Cão verbunden. Auf seinen beiden Reisen (1482—83/84 und 1485—86/87) führte er zum ersten Mal die neuen steinernen Wappenpfeiler (padrãos) mit: Zeichen der portugiesischen Besitzergreifung und des gleichzeitigen Missionsanspruchs. Päpstliche Bullen aus den Jahren 1455 und 1456 hatten den portugiesischen Herrschern sowohl die weltliche Souveränität als auch die geistliche Jurisdiktionsgewalt über alle Gebiete vom Kap Bojador südwärts bis »Indien« auf ewige Zeiten übertragen, einschließlich des Handelsmonopols und des Rechts, die »Ungläubigen« in die Sklaverei zu führen.Am Kongo ergaben sich erstmals intensivere Beziehungen zur afrikanischen Bevölkerung, die nicht nur ausgesprochen friedlich verliefen, sondern deren Ergebnis die Etablierung einer — anfänglich — partnerschaftlichen »Religions- und Handelsgemeinschaft« war. Auf die Taufe des Herrschers, des Manikongo, folgten ein reger Austausch zwischen beiden Königshäusern, die Einrichtung eines »Entwicklungshilfeprogramms« sowie 1521 sogar die Weihe des ersten — und für Jahrhunderte letzten — schwarzafrikanischen Bischofs. Die Hauptursache für das letztlich erfolgte Scheitern der Begegnung war vor allem, dass die Portugiesen nun bald ihr Augenmerk auf die Schätze Indiens und des Fernen Ostens richteten und am Kongo einzig und allein nur noch wegen des Sklavenhandels interessiert waren.1487 begannen zwei entscheidende Entdeckungsfahrten, die auf unterschiedlichem Wege dasselbe Ziel »Indien« hatten und die strategisch eine Art Zangenbewegung darstellten. Während Bartolomeu Diaz an der Westküste Afrikas entlang segelte, 1488 das Südkap erreichte und den Seeweg nach Indien öffnete, versuchten Pêro da Covilhã und Afonso de Paiva — als Muslime verkleidet — von der »anderen« Seite, das heißt auf dem Wege über Ägypten und die arabische Halbinsel, ihr Ziel zu erreichen. Während Paiva unterwegs nach Äthiopien in Kairo starb, gelangte Covilhã auf See- und Landwegen bis an die Malabarküste Vorderindiens, später nach Sofala an der südlichen Ostküste Afrikas und schließlich nach Äthiopien (1496) zurück.Mit der Kontaktaufnahme zum äthiopischen Königshof endete auch die fast einhundertjährige Suche nach dem Reich des »Priesterkönigs Johannes«, den man nunmehr im Negus gefunden zu haben glaubte. Trotz der Enttäuschung am portugiesischen Hof über das christliche Land war Äthiopien doch als Stützpunkt für die Portugiesen zu wichtig, als dass sie zu diesem Zeitpunkt schon den Plan fallen gelassen hätten, gemeinsam gegen den Islam vorzugehen. 1543 gelang den vereinigten portugiesisch-äthiopischen Truppen ein allerdings nur kurzfristiger Sieg gegen den Emir von Harar. Mombasa war im Grunde Portugals nördlichster Stützpunkt an der Ostküste Afrikas, und auch der rigorose Versuch der Missionare, den römisch-katholischen Ritus gegenüber der äthiopisch-koptischen Kirche durchzusetzen, scheiterte.Ein drittes »Nebenprodukt« der Bemühungen um den Seeweg nach Indien stellte neben den Vorstößen am Kongo und in Äthiopien die vorübergehende Festsetzung der Portugiesen im Südosten Afrikas, im heutigen Simbabwe, dar; identifizierten sie diese Region doch mit dem sagenhaften »Goldland Ophir«, aus dem Salomo dem Alten Testament nach zu Schiff Edelsteine und Gold nach Jerusalem hatte holen lassen. Sie legten daher ein Netz von Handelsplätzen nahe den Goldfundstätten über das Land, für die sie allerdings den örtlichen Herrschern eine Pacht zahlen mussten. Gelegentlich nutzten sie »Militärhilfen« auch zur Erlangung von Bergwerksrechten und zur Erlaubnis, mit Sklaven betriebene Plantagen einzurichten. Kein Vorstoß ins Innere Afrikas hatte aber zu einer dauernden Etablierung geführt. Der portugiesische Handelsexpansionismus, ohnehin nicht auf Siedlung ausgerichtet, blieb auf Militär- und Handelsstützpunkte längs der Küste beschränkt, die in erster Linie als Stationen auf dem Weg nach Indien dienten.»Christen und Gewürze«Im Jahre 1498 erreichten die Portugiesen schließlich ihr eigentliches Ziel: Indien. Am 8. Juli 1497 war Vasco da Gama, ein bewährter Seefahrer, der wie die meisten der Entdecker und Eroberer aus dem niederen Adel stammte, mit vier Karavellen von Lissabon aufgebrochen, hatte im weiten Bogen das Kap der Guten Hoffnung umfahren und war — nach gelegentlichen Zwischenlandungen an der ostafrikanischen Küste — von Malindi aus in Richtung Indien in See gestochen. Unter Führung eines arabischen Lotsen und unter Ausnutzung des Südwestmonsuns überquerten seine Schiffe in nur 23 Tagen den Indischen Ozean. Dem Landgang am 18. Mai 1498 im südwestindischen Calicut ging eine Szene voraus, die der Chronist der Fahrt überliefert hat und die auf einprägsame Weise die Motive der Portugiesen verdeutlicht. Vorsichtshalber soll der Kapitän zunächst einen der mitgenommenen Sträflinge an Land geschickt haben. Prompt traf dieser auf maurische Händler aus Tunis, die der kastilischen und der genuesischen Sprache mächtig waren. Verblüfft stellten sie die Frage: »Hol dich der Teufel! Wer hat dich (denn) hierhergebracht?« Die ebenso knappe wie aufschlussreiche Antwort lautete: »Wir kommen, um Christen und Gewürze zu suchen.«Was die Christen betraf, so stand am Anfang der Begegnung ein groteskes Missverständnis; hielt man die Einwohner der Stadt Calicut doch für die erwarteten Christen und feierten die Portugiesen doch, ohne es zu bemerken, den ersten Gottesdienst auf indischem Boden nicht in einer christlichen Kirche, sondern in einem Hindutempel. Auch ein politischer Erfolg war Vasco da Gama auf dieser ersten Fahrt noch nicht beschieden, da sich das Zusammentreffen mit dem Herrscher von Calicut sowie mit den dort im Handel vorherrschenden Arabern alles andere als friedlich vollzog. Erst die anschließende Fahrt unter Pedro Álvares Cabral (1500) mit bereits 13 Schiffen und 1500 Mann Besatzung und die zweite Fahrt des Vasco da Gama (1502) gestalteten sich insofern erfolgreich, als die Portugiesen nunmehr rücksichtslos ihre Überlegenheit zur See einsetzten und die Rivalitäten indischer Herrscher, aber auch den indisch-arabischen Gegensatz zu ihren Gunsten auszuspielen vermochten.Die mit Gewürzen und anderen Produkten des Orients reich beladenen Schiffe hatten die Hoffnung auf das bewährte Zusammenwirken von Handel und Mission auch im Fernen Osten gestärkt. Der portugiesische König nannte sich fortan: »König von Portugal und Algarve diesseits und jenseits des Meeres, Herr von Guinea und der Eroberung, Schifffahrt und des Handels von Äthiopien, Arabien, Persien und Indien«. Voraussetzung dieses eher programmatischen Titels blieb die Beseitigung der arabischen Handelsvorherrschaft in Asien.Zumindest teilweise ausgeschaltet wurde die arabische Konkurrenz im Indischen Ozean durch den Sieg des mit der Sicherung des Gewürzhandels beauftragten ersten Vizekönigs Francisco de Almeida 1509 über die vereinigten Flotten von Ägypten und Gujarat vor Diu. Es folgte die Niederlassung in Goa (1510). Dann eroberten die Portugiesen Malakka (Melaka; 1511), wodurch die Verbindung zwischen dem Golf von Bengalen und dem Südchinesischen Meer geschaffen war. Große Teile des indisch-chinesischen Handels gerieten damit unter ihre Kontrolle. Unter Ausnutzung der Gegensätze der Molukkenreiche von Tidore und Ternate etablierten sie sich auf den eigentlichen Gewürzinseln des Ostens. Mit der Einnahme von Hormus (1515) beherrschten sie auch die Schlüsselstellung am Eingang des Persischen Golfes, die zugleich Umschlagplatz zwischen Indien und Persien war, nachdem mit der Besetzung Sokotras (1507) schon vorher die Pforte zum Roten Meer gesichert worden war.Im gleichen Zeitraum erfolgten die ersten Kontaktaufnahmen mit China (1514). Aber erst 1557 gelang es den Portugiesen, auf der Halbinsel Macao — gegen Zahlung einer Grundrente — eine Niederlassung einzurichten, die 1582 offiziell von den Chinesen genehmigt wurde. Sie sollte zum einen zum Eingangstor für die Chinamission der Jesuiten im 17. Jahrhundert werden, zum anderen Ausgangspunkt für den Handel mit Japan. Japan hatten 1543 erstmals desertierte portugiesische Chinaschmuggler, die durch einen Sturm an die Küste des Inselreichs verschlagen worden waren, betreten. Ihnen folgten Händler und Missionare. Zentrum der Japanmission sowie des lukrativen portugiesischen Monopolhandels zwischen China und Japan wurde die Stadt Nagasaki. So wie Kaufleute und christliche Sendboten Hand in Hand die etwa ein Jahrhundert währenden portugiesischen Beziehungen zu Japan eröffneten, so sollten sie auch gemeinsam das Land wieder verlassen müssen (1639).Der »Estado da India«Mit der Gründung Macaos und der Niederlassung in Nagasaki war der Schlussstein des asiatischen Imperiums der Portugiesen gelegt. Es folgte der Ausbau durch eine lockere, den gesamten süd- und ostasiatischen Raum umspannende Kette von Stützpunkten — erkennbar an den Festungsmauern und den sie überragenden Kirchen —, die für ein Jahrhundert die Seeherrschaft der Portugiesen in Ostasien begründeten. Sie erreichten diese überlegene Stellung durch ihren militärisch-technischen Stand, insbesondere durch die Schiffsartillerie und die Festungskanonen, sowie mithilfe des bewährten Prinzips, lokale und regionale Konflikte auszunutzen.Mittelpunkt des Seereichs, das seit 1509 durch den zweiten Vizekönig Afonso de Albuquerque politisch und administrativ ausgebaut wurde, war das stark befestigte Goa (Lissabon des Ostens), auf einer geschützten, leicht zu verteidigenden Insel im Mündungsgebiet zweier Flüsse gelegen. Um ihn nicht übermächtig werden zu lassen, wurde der Vizekönig, dem ein Staatsrat (seit 1563) und eine unabhängige Finanzverwaltung zur Seite standen, alle drei Jahre abgelöst. Ihm unterstanden die Gouverneure von Moçambique, Maskat, Hormus, Colombo und Malakka. Kaum mehr als 6000 bis 7000 Personen haben dieses weitläufige Imperium (Estado da India), dessen Kontrolle durch die Metropole gering war und in dem sich jeder auf Kosten der Krone — und natürlich der Einheimischen — zu bereichern trachtete, mehr schlecht als recht verwaltet.Oberstes Ziel der Portugiesen blieb die Monopolisierung des Gewürzhandels von Asien nach Europa, der zukünftig einen jährlichen Durchschnittsgewinn von etwa 150 Prozent erbringen sollte. Freilich waren am Anfang der carreira da India, der etwa zweijährigen Fahrt einschließlich Liegezeit zwischen Lissabon und dem ökonomischen Zentrum Goa, die Verluste an Mensch und Material noch sehr hoch. Während die Portugiesen in der Hauptsache Personal, Kapital und »Nürnberger Tand« nach Asien brachten, machten den Hauptteil der Waren aus Asien Pfeffer und andere Edelgewürze, Salpeter, Indigo, Harthölzer, Seide, Porzellan, Stoffe und die Kaurimuschel als Zahlungsmittel in Afrika aus. Neben dem direkten Handel richteten sie ein Zollsystem ein, aus dem sie im 16. Jahrhundert etwa 65 Prozent ihrer Gesamteinnahmen erzielten.Entscheidend war, dass es den Portugiesen gelungen war, sich in das bestehende innerasiatische Handelssystem zu integrieren, ohne dass sie den Handel von Chinesen, Japanern, Javanern, Thai, Indern und Arabern ausgeschaltet hätten. Die Krone hat von diesen Gewinnen nur bedingt profitiert. Außerdem hat sie wegen ihrer ständigen Finanznot zunehmend lukrative Monopole auf asiatische Produkte gegen feste Abgaben an Pächter abgetreten und somit selbst dem allgemeinen »Parasitismus« Vorschub geleistet. Ohnehin ging das meiste Geld aus Asien in den Luxus der Oberschichten und den Schuldendienst des Staates für Auslandsanleihen.Goa, seit 1534 Bistum, seit 1557/58 Metropolitanbistum für den gesamten Fernen Osten, war schließlich auch Zentrum der missionierenden Kirche. Auch in Asien suchten die Portugiesen mithilfe der staatlichen Mission die eigenen Herrschaftsstrukturen durch eine einheimische Klientel zu untermauern — mit insgesamt geringem Erfolg. Einzig in Goa vermochten eine militante Mission und eine bis 1774 tätige Inquisition in der Bevölkerung ein christliches Übergewicht zu erzielen, sodass hier eine portugiesisch geprägte Enklave entstand. Über Goa hinaus blieb der religiös-kulturelle Einfluss der Fleisch essenden »Parangi« (Portugiesen) bei den kastenbewussten Hindus gering, mit Ausnahme der bedrängten Fischerkaste der »Paraver«, die sich aus politischen Motiven zu einem — in der Folge indisierten — Christentum bekannten. Mit den einst so sehnlich gesuchten, aber schismatischen und als Kaste lebenden Thomaschristen rieb man sich an kleinlichen kirchenrechtlichen Fragen, wobei es 1599 für kurze Zeit zu einer erzwungenen Unierung mit Rom kam.Gerade der anfänglichen kulturellen und rituellen Anpassung verdankte die Japan- und Chinamission der Jesuiten ihren hoffnungsvollen Beginn. Während sich die Missionare in Japan im Zuge des portugiesischen Handelssystems Zugang zu den »Landesfürsten« verschafften, traten sie in China als »abendländische Gelehrte« auf, die Mathematik, Technik, Astronomie und Philosophie vermittelten. Um 1580 soll es in Japan 150000, um 1700 in China 300000 Christen gegeben haben. Eine rigoros europazentrische Interpretation der einheimischen Riten, die enge Verbindung mit dem europäischen Imperialismus sowie letztlich wohl der unüberbrückbare Unterschied zwischen weltimmanenter Kosmologie des Ostens und dem metaphysischen Weltbild des Westens brachten das vorläufige Ende der Japan- und Chinamission.Im April 1500 berührte Pedro Álvares Cabral eher zufällig — er war auf der Fahrt nach Indien zu weit nach Westen abgetrieben worden — die Küste Brasiliens (in der Gegend des heutigen Porto Seguro) und taufte das Gebiet in der Meinung, es handele sich um eine Insel, auf den Namen Ilha da Vera Cruz (Insel des Wahren Kreuzes). Ihm war jedoch die strategische Bedeutung des innerhalb der portugiesischen Tordesillas-Zone liegenden Gebietes für die Indienfahrt durchaus bewusst, das spätestens 1511 nach dem vorerst wichtigsten Exportprodukt, dem Brasilholz, aus dem eine wertvolle rote Beizfarbe erzeugt wurde, seinen Namen (Terra do Brasil) erhielt.Um das Territorium sowohl vor spanischen als auch vor französischen Begehrlichkeiten zu schützen, ging die Krone Anfang der Dreißigerjahre dazu über, das gesamte Küstengebiet von der Amazonasmündung bis zum heutigen Staat Santa Catarina in 15 erbliche, mit Hoheitsrechten ausgestattete Kapitanien einzuteilen, wobei die Ausdehnung in das Landesinnere offen blieb. Den privaten Besitzern wurde das Gebiet mit der Verpflichtung zur Erschließung und Besiedelung übertragen, gleichzeitig mit dem Recht, Indianer zu versklaven und auf dem Markt anzubieten. Nach dem Zuckerboom führte dies zu regelrechten Sklavenjagden. Bei diesen Zügen machten die in kleinen Gruppen (bandeiras) operierenden bandeirantes, aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Mischlingen aus der Gegend von São Paulo auch mamelucos oder paulistas genannt, selbst vor den wenigen Indianerschutzgebieten der Jesuiten (Missionsdörfer) nicht halt. Diese später als »Pioniere« gefeierten Konquistadoren drangen bis weit in das spanische Gebiet vor.Da sich die Privatkolonisation infolge von Kapitalmangel, fehlenden Siedlern, äußerer Bedrohung und Desinteresse an der Erschließung des Landes nicht bewährte und die spanischen Entdeckungen der Silbervorkommen in Potosí zudem Hoffnungen auf Edelmetalle weckten, entschloss sich die Krone seit der Jahrhundertmitte, mit dem Aufbau einer Kolonialverwaltung den staatlichen Zugriff auf Brasilien zu verstärken und die Gemengelage von Faktoreien, Kapitanien und nach fünf Jahren frei werdenden Siedlerhöfen (sesmarias) allmählich abzulösen oder zu überlagern. Inzwischen war auch ein Kolonialprodukt auf den fruchtbaren Böden des nordöstlichen Brasiliens heimisch geworden: der Zucker. Er sollte die Wirtschaft Brasiliens bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts dominieren. Zu seinem Anbau reichten die Indianer bald nicht mehr aus, sodass schwarzafrikanische Sklaven an ihre Stelle traten. Mit ungefähr 3,5 Millionen zwangsimportierten Afrikanern nahm Brasilien, das auch als letzter westlicher Staat die Sklaverei abschaffte (1888), ein Drittel der im Wege des transatlantischen Dreieckshandels nach Amerika gelangten Sklaven auf.Brasilien lag im 16. Jahrhundert nicht nur an der Spitze der Weltzuckerproduktion, der Zucker bestimmte auch das politische, soziale und gesellschaftliche Leben Brasiliens. Denn die Zuckerplantage mit der Zuckermühle, den Werkstätten und dem zum Teil verpachteten Land war nicht nur ein Produktions-, sondern auch ein patriarchalisches Sozialsystem. Sie war Festung, Pfarrei, Schule, Bank, Friedhof und Asyl in einem, dominiert vom Herrenhaus und umgeben von den Sklavenhütten. Wenn auch der Lebensstil der Zuckerbarone oft nur Fassade war und ihre Einkünfte meist nur knapp über den Aufwendungen lagen, blieb der Zuckerrohranbau doch bis heute einer der wichtigsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren in der durch den hohen Sklavenimport bei gleichzeitig geringer Zahl der Portugiesen und Resten der ehemaligen Indianerbevölkerung rassisch stark gemischten Gesellschaft Brasiliens.Prof. Dr. Horst GründerDokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, herausgegeben von Eberhard Schmitt. Auf 7 Bände berechnet. München 1984 ff.Gründer, Horst: Welteroberung und Christentum. Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit. Gütersloh 1992.Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, herausgegeben von Walter L. Bernecker u. a. Band 1: Mittel-, Südamerika und die Karibik bis 1760, herausgegeben von Horst Pietschmann. 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Universal-Lexikon. 2012.